NZZ am Sonntag, Sonntag, 19. Oktober 2014, Charlotte Jacquemart
Audi möchte in der Schweiz investieren
Der Autobauer Audi plant in der Schweiz den Bau einer Produktionsstätte für synthetische Treibstoffe. Vorausgesetzt, die Politik stellt die Weichen richtig.
In Norddeutschland betreibt der Autohersteller Audi bereits eine Pilotanlage für synthetischen, CO2-neutralen Treibstoff. Was im niedersächsischen Werlte heute schon existiert, könnte auch bald in der Schweiz stehen, wenn es nach dem Willen von Audi geht. Der Leiter der Abteilung erneuerbare Energien und Zukunftsmaterialien, Hagen Seifert, bestätigt die Absicht gegenüber der «NZZ am Sonntag». «Wir würden gerne in der Schweiz in die Produktion von synthetischen Treibstoffen investieren.» Die Schweiz sei attraktiv für Audi, sagt Seifert. «Zum einen gibt es in der Schweiz genügend sauberen Strom.» Grünen Strom braucht Audi, um via Elektrolyse Wasserstoff zu generieren. Kombiniert man Wasserstoff mit CO2, kriegt man mithilfe von Energie die Basis für Treibstoffe wie Benzin, Diesel und Kerosin.
Zum anderen arbeitet Audi seit kurzem mit dem ETH-Startup Climeworks zusammen, das in den letzten 10 Jahren eine Art CO2-Kollektor entwickelt hat. Mit diesem lässt sich mit geringem Energieaufwand CO2 aus der Luft herausfiltern. Die erste Grossanlage von Climeworks installiert Audi 2015 in der Pilotanlage Werlte, wo die Firma heute schon ihr E-Gas produziert, ein synthetisches Methan. Sind die Kollektoren installiert, werden 1500 Autos CO2-neutral fahren: Die Vision des geschlossenen Kohlestoffkreislaufs ist umgesetzt. Dank der Technologie von Climeworks sei auch der Konflikt zwischen «Tank und Nahrungsmitteln» vom Tisch, sagt Seifert. «Wir brauchen inskünftig keine Biomasse mehr, um CO2 zu generieren.» Eine Tonne CO2 kommt mit der Kollektoren-Grossanlage auf rund 100 Fr. zu stehen. Umgelegt auf den Liter Benzin, entspricht das einem Kostenanteil etwa 20 Rp.
Zurzeit ist Audi im Gespräch mit diversen Schweizer Energiekonzernen, die den nötigen Strom aus erneuerbaren Quellen liefern könnten. Bevor es zu ei-ner Investition von Audi in der Schweiz kommt, müsste die Politik allerdings die Weichen stellen: Heute können die reduzierten CO2-Emissionen aus synthetischem Treibstoff bei der Anrechnung für die Flottenemissionen – anders als beim Erdgas – nicht angerechnet werden. Der grünliberale Nationalrat Thomas Böhni hat nun eine Motion eingereicht, die das ändern will. Böhni ist Ingenieur und spezialisiert auf erneuerbare Energien. Er sagt: «CO2-neutrale synthetische Treibstoffe ermöglichen eine fast klimaneutrale Mobilität. Wenn die reduzierten CO2-Emissions-Werte im Rahmen der Flottenemissionsregelung nicht angerechnet werden können, behindern und bestrafen wir eine zukunftsträchtige Technologie.»
Jan Wurzbacher, Co-Gründer von Climeworks, setzt grosse Hoffnungen in die Politik: «Es wäre wichtig, die Weichen würden schnell so gestellt, dass wir die Produktion von synthetischen Treibstoffen in der Schweiz ansiedeln könnten.» Zwar liegt der grosse Vorteil der CO2-Kollektoren gerade darin, dass sie nicht an Standorte gebunden sind, da es den Rohstoff Luft überall auf der Welt gibt. Wurzbacher aber sagt: «Wir sind eine Schweizer Firma und wären stolz, wenn unser Land bei der klimaneutralen Mobilität eine Vorreiterrolle einnähme.»