
Mit der Schlagzeile «Phantomziel Netto-Null: Allein mit der Elektrifizierung der Autoantriebe werden die Umweltziele nicht zu erreichen sein» berichtete die NZZ am 07. Mai 2022 über Erkenntnisse vom 43. Internationalen Wiener Motorensymposium. Dort forderten gleich mehrere Referenten: «Die grosse Bestandsflotte mit Verbrennungsmotoren muss mit alternativen Treibstoffen defossilisiert werden.»
Weiter schreibt Stephan Hauri: «Dass es sich bei diesem Technikerkongress, dem Ende April mehr als 900 Teilnehmer beiwohnten, nicht um ein Treffen von Traditionalisten und Techniknostalgikern handelt, beweist die Tatsache, dass die meisten der 72 Referate Themen der Energiewende gewidmet waren. Wasserstoff, synthetische Treibstoffe, Batterie- und Brennstoffzellentechnik beherrschten das Programm des zweitägigen Referatemarathons der Entwickler von Fahrzeugantrieben.» Auch «der Tesla von Obrist mit negativen Emissionen» sei präsentiert worden.
Am Beispiel Österreich wurde aufgezeigt, worin «die grösste Herausforderung in der Defossilisierung der Mobilität und der Industrie» liegt. Eine neue Studie des Grazer Entwicklungsunternehmens AVL habe ergeben, dass sich der Strombedarf in Österreich bis 2050 im Vergleich zu 2019 ungefähr verdoppeln wird. Dieser Bedarf könne durch lokale erneuerbare Ressourcen in Österreich nicht gedeckt werden, so dass in Zukunft viel Energie importiert werden müsse. Was für Österreich gilt, gelte auch für Europa.
Im eigenen Land nachhaltig erzeugte Elektrizität solle direkt für den Antrieb von Elektrofahrzeugen genutzt werden. Aus diesem Strom Wasserstoff und synthetische Treibstoffe zu produzieren, wäre nicht sinnvoll. Aber: Der von europäischen Ländern hergestellte Strom könne den stark steigenden Bedarf nicht decken. Der Import von Energie erfolge am besten in Form von Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten, da sich solche Flüssigkeiten als sogenannte chemische Batterien vergleichsweise einfach und kostengünstig transportieren lassen. Dieser Meinung ist jedenfalls Robert Schlögl, Direktor der Anorganischen Chemie am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. «Der direkte Antrieb zukünftiger und global einsetzbarer Fahrzeuge wird elektrisch sein, und als Energielieferant dienen flüssige Kraftstoffe, die die vorhandene Infrastruktur nutzen. Ihre Speicherkapazitäten entsprechen dem globalen Bedarf.»
Eine wesentliche Option für chemische Batterien sei die Synthese von Methanol. Wasserstoff kann durch die Umsetzung mit CO2 aus der Luft als Methanol gespeichert werden. Mit einem DAC-Verfahren (Direct Air Capture), wie es etwa das Schweizer Unternehmen Climeworks praktiziert, wird E-Methanol zu rund 90 Prozent CO2-neutral und kann in E-Benzin für Bestandsfahrzeuge konvertiert werden.
Karl Dums, Senior Manager E-Fuels bei der Porsche AG, bestätigte am Symposium, dass noch in diesem Jahr in Chile mit der Produktion von synthetischem Treibstoff für Ottomotoren begonnen und danach die Produktion bis 2025 im grossen Massstab ausgebaut werde. Auch Dums hält den Einsatz von E-Fuels für unabdingbar, da sich die bestehende Fahrzeugflotte nur langsam erneuere. Zunächst solle die synthetische Flüssigkeit aufgrund der noch geringen Produktionsmenge als Mischbeitrag, später aber in reiner Form zum Einsatz kommen. Ausgehend von E-Methanol würden massgeschneiderte Treibstoffe erzeugt, die bezüglich CO2-Fussabdruck dem Batterieauto nahekämen und bei den restlichen verbrennungsmotorischen Schadstoffen wie NOx, CO und HC ähnlich wie die heutigen Treibstoffe seien. Zusammen mit einer geeigneten Abgasnachbehandlung sind dann emissionsneutrale Verbrennungsmotoren möglich.
Um mindestens in die Nähe des Netto-Null-Ziels zu kommen, muss der Atmosphäre auch CO2 entzogen und dauerhaft gespeichert werden. Solche Negativemissionen seien beispielsweise realisierbar, wenn ein Teil des CO2, das zusammen mit Wasserstoff zur Herstellung von E-Methanol dient, abgezweigt und im Boden eingelagert wird. Nach den Plänen des Engineering-Unternehmens Obrist aus Lustenau soll bei der Produktion von synthetischem Methanol aus der Luft eingefangenes CO2 mithilfe eines neuen Verfahrens des isländischen Unternehmens Carbfix per Sequestrierung dem Kreislauf entzogen werden.
Aus zahlreichen Referaten des Wiener Symposiums ging hervor, dass nur ein technologieoffener Ansatz schnell zu einer kompletten Defossilisierung führen kann. Dabei sollten Wasserstoff und E-Fuels für unterschiedliche Anwendungen zum Einsatz kommen. Daneben allerdings ist und bleibt für die Energiewende die Nutzung von erneuerbarem Direktstrom von zentraler Bedeutung.
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https://www.nzz.ch/mobilitaet/phantomziel-netto-null-e-mobilitaet-reicht-nicht-aus-ld.1682503
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